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Pessach und die Hülsenfrüchte

Veröffentlicht am 22. April 2016 von helmutagnesson

Dass zu Pessach die fünf biblischen Getreidesorten verboten sind, ist klar und bedarf keiner weiteren Diskussion. Allerdings gibt es auch hierbei eine Uneindeutigkeit, denn bei einem der hebräischen Wörter ist nicht klar, ob es Buchweizen oder Dinkel meint. Wer die Lesart Buchweizen bevorzugt, stuft den Dinkel als Variante des Weizens ein, so dass dieser ebenfalls zu den während des Pessachfestes nicht erlaubten Speisen gehört.Viele derjenigen, die den Dinkel als ausdrücklich genannt ansehen, stufen den Buchweizen als Weizenvariante ein, während andere darin ein gänzlich anderes Getreide sehen. Erlaubt ist aus den biblischen Getreidearten ausschließlich ungesäuertes Brot. Der Herstellungsprozess der für Pessach koscheren Mazzot beträgt maximal achtzehn Minuten, was zu dünnen Fladen führt. Die fünf biblischen Getreidearten sind übrigens Weizen, Gerste, Roggen, Hafer und Dinkel beziehungsweise Buchweizen.

Die nichtbiblischen Getreidesorten sind von der Tora her zunächst nicht verboten. Die Erweiterung auf alle ähnliche Getreidearten ist sinnvoll und beruft sich auf zurecht auf eine rabbinische Entscheidung. Dieser zufolge ist der Reis als Ausnahme ausdrücklich erlaubt. Ich kenne durchaus jemanden, der sein Haferflockenmüsli durch ein Amyranthmüsli ersetzt. Mir wäre Amyranth zu weizenähnlich, so dass ich dieses Getreide zu Pessach nicht verwende. Bei stark von den zu Pessach untersagten Getreidesorten unterschiedenen Getreidearten gehen die Auffassungen auseinander. Mein aus dem Jemen stammender Religionslehrer sagte am Beispiel der Hirse, dass diese durchaus erlaubt sind, aber die ganz Frommen darauf verzichten.

In aschkenasisch-orthodoxen Kreisen werden auch Hülsenfrüchte zu Pessach weggelassen. Kurios ist allerdings, welche Früchte zu den Hülsenfrüchten gezählt werden. Erbsen, Bohnen, Kichererbsen, Linsen und Erdnüsse gehören biologisch eindeutig dazu. Den Pessach-Regeln der aschkenasischen Orthodoxie zufolge sind aber auch Senf, Knoblauch und Mais Hülsenfrüchte. Die Einstufung von Mais als Hülsenfrucht ist besonders absurd, denn bei diesem handelt es sich botanisch um ein – den biblischen Arten eher unähnliches – Getreide. Bei einem vollständigen Verzicht auf alle und nicht nur auf die biblischen sowie die diesen ähnelnden Getreidearten wäre der Mais somit während des Pessachfestes ohnehin vom Speiseplan verbannt. ¿Warum diesen also noch zu den Hülsenfrüchten zählen? Es geht aber noch kurioser. Denn selbst der Buchweizen, der doch möglicherweise eine biblische Getreideart ist, wird zum Teil zu den Hülsenfrüchten gerechnet. Sicher, die Ausweitung des Verbotes auf nicht-biblische und den biblischen nicht ähnliche Getreidearten ist, außer in orthodox-aschkenasischer Lesart, freiwillig. Aber, ¿müsste das nicht auch für das Streichen der Hülsenfrüchte vom Speiseplan gelten?

Nicht nur der Legende nach gab es sogar eine Diskussion darüber, ob Kaffee als eine aus der Kaffeebohne (!) gewonnenes Getränk auch als Hülsenfrucht eingestuft werden muss. Die Mehrheit entschied sich jedoch gegen ein Kaffeeverbot zu Pessach. Mein früherer Rabbiner erzählte bei einem Vortrag in der Universität einmal, dass gleich mehrere Gemeindemitglieder Joghurt vom Pessach-Speiseplan gestrichen haben, da er Milchsäurebakterien enthalte. Diese Interpretation der Pessachvorschriften ist originell, wobei selbstverständlich jedeR für sich die Liste der verbotenen Lebensmittel erweitern kann. Das ist explizit nur zu Pessach erlaubt, sonst soll niemand auf einen laut der Halacha erlaubten Genuss verzichten. Außer natürlich, wenn ihm/ihr ein bestimmtes Lebensmittel oder eine Lebensmittelgruppe nicht schmeckt und der Verzehr deshalb kein Genuss mehr wäre. Krankheiten und Unverträglichkeiten bilden selbstverständlich einen weiteren Grund für das Weglassen bestimmter Speisen und Getränke.

Sollte eine der im letzten Abschnitt erwähnten Familien auf die Idee kommen, ihr Weglassen von Joghurt zu Pessach als ortsüblichen Brauch zu propagieren und andere Gemeindemitglieder ebenfalls dazu auffordern, wäre ein deutlicher Protest sicher. Vergessen wird jedoch gerne, dass auch das Verbot von Hülsenfrüchten zunächst ein Brauch war, dessen Befolger ihn als für eine große Gruppe durchgesetzt haben. Während des Mittelalters mögen Anhaftungen von Weizen an echten Hülsenfrüchten wie Erbsen und Linsen gelegentlich zu beobachten gewesen sein, die heutige Lebensmittelhygiene schließt sie jedoch zuverlässig aus. Aus meiner Sicht spricht vieles gegen das Hülsenfruchtverbot und besonders gegen die Neigung, massenweise Pflanzen zu Hülsenfrüchten zu erklären, die es botanisch nicht sind. Die meisten deutschsprachigen Veröffentlichungen verwenden übrigens bewusst das hebräische Wort Kitnijot, um deutlich zu machen, dass statt der botanischen Definition der erweiterte Begriff von Hülsenfrüchten gemeint ist.

In einem meiner früheren Purimscherze, den ich auch in einer E-Buch-Sammlung titels »Das Synagogenschiff und weitere Purimscherze« veröffentlicht hatte, beschrieb ich eine neue rabbinische Entscheidung, wonach künftig auch Bananen als Hülsenfrüchte gelten. Bananen sind Hülsenfrüchte, da sie ähnlich wie Erbsen geschält werden. Jawoll.

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